Identifikation von Menschenhandel Betroffener
Expertinnen und Experten sind sich einig, dass es „das“ typische Opfer von Menschenhandel nicht gibt. Entsprechend schwierig gestaltet sich die Identifizierung von Betroffenen. Dennoch gibt es Anzeichen, die auf Menschenhandel hindeuten können. Im Rahmen des EU-Projektes Assist, an dem SOLWODI beteiligt war, wurde eine Liste erstellt, nach der Menschenhandel vorliegen kann, wenn eine Person:
- durch falsche Versprechungen angeworben wurde (z.B. mit der Aussicht auf einen Arbeitsplatz);
- keinen Zugang zu ihren eigenen Personaldokumenten hat;
- damit bedroht wird, dass ihr illegaler Aufenthalt an die Polizei oder zuständige Behörden weitergegeben wird;
- am Arbeitsort wohnt;
- bedroht wird oder physische Gewalt erfährt;
- gezwungen wird; in der Prostitution tätig zu sein;
- erniedrigt und zu sexuellen Handlungen gezwungen wird;
- das Geld der erzwungenen sexuellen Handlungen von einer anderen Person verwaltet wird;
- zu enorm hohen Arbeitszeiten gezwungen wird;
- sich nicht frei bewegen darf, indem sie z.B. zur Arbeitsstelle gebracht und abgeholt wird;
- arbeitet, um ein Darlehen oder Schulden abzubezahlen;
- nicht wie vereinbart bezahlt wird;
- auf dem Arbeitsplatz eingesperrt wurde;
- häufig zwischen Bordellen und anderen Arbeitsorten wechselt;
- in verschiedene Städte oder Länder gebracht wird;
- Anzeichen von Drogen- oder Substanzmissbrauch zeigt.
Betroffene von Menschenhandel wirken zudem häufig verängstigt, trauen sich nicht, eigene Entscheidungen zu treffen und scheinen ständig unter Beobachtung zu stehen. Wichtig ist jedoch, dass keiner der genannten Indikatoren zwangsläufig das Vorliegen von Menschenhandel bedeuten muss.
Aktuell wird die Einführung eines Nationalen Verweismechanismus (National Referral Mechanism – NRM) in Deutschland diskutiert. Solche Verweismechanismen existieren bereits auf Länderebene. Dabei handelt es sich letztendlich um Prozesse, welche die Identifizierung potenzieller Betroffener von Menschenhandel und deren Verweis an entsprechende Stellen im Unterstützungssystem, insbesondere spezialisierte Fachberatungsstellen ermöglichen sollen. Betroffene sollen so wirksamer geschützt und ihre Rechte wahrnehmen können.
Ein Problem ist hierbei, dass der Erstkontakt Betroffener von Menschenhandel mit einer Vielzahl von Personen stattfinden kann: Polizei, Grenzschutz, Mitarbeitende in Asylunterkünften, Behörden, Gesundheitssystem, zivilgesellschaftliche Organisationen, etc. Es muss also festgelegt werden, wer eine solche Identifizierung vornehmen kann und welche Prozesse etabliert werden, damit alle Beteiligten die Zuständigkeiten kennen. Da die Identifizierung von Betroffenen, wie oben ausgeführt, schwierig ist und von den Täterinnen und Tätern aktiv behindert wird, sind umfassende und regelmäßige Schulungen notwendig, um Identifizierung und Verweis angemessen gewährleisten zu können. Dennoch wäre ein praxisgerechtes, transparentes und vor allem verbindliches Regelwerk im Sinne des Schutzes der Betroffenen von Menschenhandel und des verbesserten Zugangs zu ihren Rechten wünschenswert.
Vor dem Hintergrund der schwierigen Identifizierung Betroffener ist es auch illusorisch, dass der Gesetzgeber eine Freierbestrafung in § 232a Abs. 6, postuliert, wenn Freier wissentlich die Zwangslage einer Betroffenen von Menschenhandel oder Zwangsprostitution ausnutzen. Obwohl das Gesetz seit mehreren Jahren besteht, kam es bisher nur in einem einzigen Fall zur Anwendung. In der Praxis ist kaum nachweisbar, dass einem Freier eine solche Zwangslage bewusst war. Das oft gehörte Argument, dass man keine allgemeine Freierbestrafung brauche, weil es bei Menschenhandel und Zwangsprostitution bereits eine solche Freierbestrafung gäbe, wird damit ad absurdum geführt.