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Nordisches Modell bzw. Gleichstellungsmodell

Nord Modell

 

Prostitution kann nicht als ein Beruf wie jeder andere gesehen werden. Prostitution basiert auf hierarchischen und patriarchalen Strukturen, der Herrschaft von Männern aus dem reichen Deutschland über Frauen aus armen Ländern des Südens. Die Männer nutzen die finanzielle und soziale Not der Frauen aus. Diskriminierte Minderheiten und Migrantinnengruppen sind in der Prostitution überall überrepräsentiert. Prostitution zementiert die Asymmetrie der Geschlechterverhältnisse. Solange Männer den Körper einer Frau kaufen und nach Gutdünken benutzen können, ist keine wirkliche Gleichstellung erreicht. Gewalt bis hin zur organisierten Kriminalität ist allgegenwärtig. Prostitution zerstört die seelische und körperliche Integrität der betroffenen Frauen. Durch den Kauf ihres Körpers wird die Frau zum Objekt und zur Ware, die Würde der Frau wird verletzt. Daher fordert SOLWODI ein Umdenken in der deutschen Prostitutionspolitik und setzt sich für die Einführung des Nordischen Modells ein.

Das Nordische Modell wurde 1999 zunächst in Schweden eingeführt, daraus erklärt sich auch der Name. Mittlerweile sind Norwegen (2009), Island (2009), Kanada (2014), Nordirland (2015), Frankreich (2016), Irland (2017) und Israel (2018) gefolgt. Im internationalen Kontext wird meist von Equality Model (Gleichstellungsmodell) gesprochen.Die Länder haben bei der Implementierung des Nordischen Modells unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass das Modell auf drei Säulen beruht:

 

1. Entkriminalisierung der prostituierten Personen und Bestrafung der Profiteure der Prostitution

 

Im Nordischen Modell werden alle Profiteure des Systems Prostitution, d.h. Zuhälter, Betreiber von Prostitutionsstätten und auch Freier bestraft, aber nicht die Menschen in der Prostitution. Es ist daher angemessener, von einer Freierbestrafung als von einem Sexkaufverbot zu sprechen, um diese Asymmetrie auszudrücken. Das Nordische Modell berücksichtigt somit, dass Frauen in der Prostitution zumeist nicht völlig freiwillig handelnde Akteurinnen, sondern Opfer des Systems sind. Ziel der Freierbestrafung ist es, die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen zu verringern.

 

2. Ausstiegshilfen für Menschen in der Prostitution

 

Ein Ausstieg aus der Prostitution ist schwierig (s.u.) und benötigt Unterstützung. Außerdem sind die meisten Frauen in der Prostitution auf Einkünfte angewiesen, um ihren eigenen Lebensunterhalt und den ihrer Familie zu sichern. Daher fordert SOLWODI Ausstiegsprogramme, die psycho-soziale Beratung, Zugang zu medizinischer und therapeutischer Unterstützung, Bereitstellung von Wohnraum und berufsqualifizierende Maßnahmen sowie gegebenenfalls eine Aufenthaltserlaubnis umfassen. Die Frauen benötigen Alternativen zur Prostitution!

 

3. Aufklärung und Wandel des gesellschaftlichen Bewusstseins

 

Um die Nachfrage wirksam zu reduzieren, ist ein stärkeres Bewusstsein dafür notwendig, dass der Kauf und die damit verbundene Verobjektivierung von Frauen der Würde und Gleichberechtigung ebendieser Frauen entgegensteht. Schulprogramme, Medienkampagnen und vieles mehr können genutzt werden, um aufzuklären und das Bewusstsein für die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern. In Frankreich beispielsweise müssen verurteilte Freier an einem Workshop teilnehmen, in denen über die Verhältnisse und Hintergründe in der Prostitution und die Auswirkungen auf das Frauenbild aufgeklärt wird.

 

Ermutigende Erfahrungen aus Schweden

Die Resultate aus Schweden sind ermutigend. So hat sich – basierend auf dem Evaluationsbericht der schwedischen Regierung – die Straßenprostitution halbiert, während sie im prostitutionsliberalen Dänemark deutlich angestiegen ist. Dabei ist auch keine überproportionale Zunahme der Wohnungsprostitution zu erkennen. Der Menschenhandel und die organisierte Kriminalität im Prostitutionsmilieu spielen nur eine geringe Rolle in Schweden, da der Markt unattraktiver geworden ist. Sehr deutlich ist der Bewusstseinswandel in der schwedischen Bevölkerung. Befürworteten 1995 gerade einmal 45% der Frauen und 20% der Männer eine Freierbestrafung, waren es 2008 79% der Frauen und 60% der Männer. Es gilt mittlerweile als „uncool“, zu Prostituierten zu gehen.

Ross Findon

Die Gewalt gegen Frauen in der Prostitution hat deutlich abgenommen: seit 1999 gab es keinen einzigen Mord in der Prostitution (mit Ausnahme eines Partnerschaftsdeliktes), während in Deutschland im gleichen Zeitraum rund 100 Morde und 50 Mordversuche registriert wurden. Die Frauen und auch die Polizei berichten, dass die Freier vorsichtiger geworden sind, weil sich das Risiko einer Bestrafung erhöht, da sie nicht nur für die ausgeübte Gewalt, sondern auch für den Sexkauf an sich bestraft werden.

 

Keinesfalls lässt sich sagen, dass die Prostitution in Schweden im Untergrund verschwunden sei. Der Trend zur Wohnungsprostitution ist in Schweden nicht stärker als in anderen Ländern. Die Freier müssen die Frauen finden und kontaktieren können, somit können auch Polizei und Sozialarbeiterinnen die Frauen erreichen. Wichtig ist hierbei erstens, dass die Polizei mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet ist, um Prostitutionsorte zu lokalisieren, z.B. die Befugnis, sich als Freier ausgeben zu können, und zweitens eine gute Kooperation zwischen Sozialarbeiterinnen und Polizei. So werden bei Razzien die betroffenen Frauen unmittelbar an spezialisierte Fachberatungsstellen vermittelt, damit sie qualifiziert beraten werden und Ausstiegsangebote erhalten.

 

Folgende Mythen werden immer wieder in Bezug auf das Nordische Modell angeführt:

 

Mit dem Nordischen Modell wandert die Prostitution in den Untergrund

Dem ist entgegenzuhalten, dass bereits heute nur 10-15% der Menschen in der Prostitution angemeldet sind, d.h. der größte Teil der Prostitution ist ohnehin im Dunkelfeld. Außerdem beobachten wir bereits jetzt eine Verlagerung der Prostitution ins Internet und in den Wohnungsbereich. Die Erfahrungen aus Schweden zeigen jedoch, dass sich dieser Wandel mit der Einführung des Nordischen Modells nicht beschleunigt. Zudem gilt, dass die Frauen für die Freier erreichbar sein müssen, und damit können auch Sozialarbeiterinnen Wege zu den Frauen finden.

 

Das Nordische Modell beeinträchtigt das Recht von Frauen auf freie Berufswahl

Prostitution ist kein „Beruf“ wie jeder andere, da sie die Würde der Frauen verletzt und mit erheblichen gesundheitlichen und psychischen Risiken einhergeht. Zudem ist es den Frauen nicht verboten, weiterhin Prostitution auszuüben, nur die Freier werden bestraft.

Es ist schlussendlich zu fragen, wessen Rechte eher zu schützen sind: diejenigen von sehr wenigen Frauen, welche die Prostitution tatsächlich freiwillig ausüben, die meist besser ausgebildet sind und leichter alternative Erwerbsmöglichkeiten finden, oder diejenigen der großen Mehrheit, die in prekären Verhältnissen und Zwangsstrukturen leben?

 

Das Nordische Modell unterscheidet nicht zwischen Zwangsprostitution und freiwilliger Prostitution

Nur wenige Frauen prostituieren sich völlig freiwillig, daher sind Zwangsstrukturen fast immer vorhanden und die Grenzen zwischen Freiwilligkeit und Zwang sind fließend. Auch im „Luxus-Bereich“ findet Menschenhandel statt, wie z.B. der Prozess gegen die Betreiber des Paradise in Stuttgart gezeigt hat.

 

Ohne Prostitution steigt die Vergewaltigungsrate an „normalen deutschen Frauen“.

Hinter dieser Aussage steckt ein sehr problematisches Männerbild, dass Männer triebgesteuerte Wesen seien, die ihr Bedürfnis nach Sexualität nicht kontrollieren könnten. Dieses Bild wird schon durch die Tatsache widerlegt, dass es während der Schließung der Prostitutionsstätten im Zuge der Covid-19 Beschränkungen keinen Anstieg der Vergewaltigungen gab.

Außerdem ist es zutiefst menschenverachtend und rassistisch, Migrantinnen in der Prostitution für Frauen in der deutschen Mehrheitsgesellschaft „opfern“ zu wollen.

Bücher

Chronik_SOLWODI

30 Jahre SOLWODI Deutschland 1987 bis 2017 -

30 Jahre Solidarität mit Frauen in Not in Deutschland

 

Autorinnen: Sr. Dr. Lea Ackermann / Dr. Barbara Koelges / Sr. Annemarie Pitzl

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